Auch „naturnah“ hat Blüh-Potenzial – und stärkt die Artenvielfalt!

Grünflächen werden immer wichtiger, wenn es um den Schutz der Biodiversität geht. Gleichzeitig wird der Raum immer knapper, vor allem in Städten. Wie kann dieser Spagat gelingen, sodass trotz limitierter Fläche mehr Lebensraum für Wildbienen & Co. entsteht?

Eine Möglichkeit ist, Grünflächen „naturnah“ zu gestalten. Anstelle von Scherrasen, Formhecken und exotischen Zierpflanzen schmücken Wildpflanzen, Trockenmauern, Totholz und offene, sandige Bereiche die Fläche. So entstehen vielfältige Lebensräume für Wildbienen, Stieglitz, Zauneidechse und weitere Tiere, wie sie eine konventionelle Gestaltung eher nicht bietet. „Vor allem im Wohnumfeld versprüht naturnahes Grün auch Lebensfreude, lädt Jung und Alt zum Beobachten des jahreszeitlichen Wandels einer Naturgartenlandschaft ein und fördert die Gesundheit“, betonen Dr. Corinna Hölzer und Cornelis Hemmer, Gründer und Leiter der Stiftung für Mensch und Umwelt. Gemeinsam mit ihrem Naturgarten-Team realisieren sie seit Jahren naturnahes Grün in Berlin.

Heimischen Wildpflanzen
kommt bei der naturnahen Gestaltung eine besondere Bedeutung zu, da sie – anders als viele Zierpflanzen – reichlich Nektar und Pollen spenden und damit Insekten und nachfolgend Igeln, Vögeln und anderen Tieren eine Nahrungsgrundlage bieten. Bei Insekten beliebt sind z. B. Goldhaar-Aster (Galatella linosyris), Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium) und Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum). Allein an der Goldhaar-Aster sammeln 72 der über 600 in Deutschland nachgewiesenen Wildbienenarten Nektar bzw. Pollen. Heimische Pflanzenarten sind auch in klimatischer Hinsicht vorteilhaft, da es unter ihnen Vertreter gibt, denen heiße Temperaturen und Trockenheit wenig ausmacht.

Eine Fläche kann schon mit einfachen Maßnahmen naturnah werden, so sie fachlich korrekt sind. Im Herbst bietet es sich an, Geophyten wie Schneeglöckchen (Galanthus), Krokus (Crocus) und Traubenhyazinthe (Muscari) zu setzen. Diese Frühblüher sind vor allem für jene Insekten attraktiv, die früh im Jahr fliegen und dann noch wenig alternative Futterquellen finden – so u. a. für die Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes). Aber Achtung: Sorten mit gefüllten Blüten sind zu vermeiden! Diese liefern kaum Nahrung. Auch stammen Schneeglöckchen leider immer häufiger aus Wildsammlungen in osteuropäischen Ländern. Bitte achten Sie beim Kauf auf Label, die eine nachhaltige Herkunft bzw. Produktion nachweisen. Gute Pollenquellen sind auch Weidenkätzen. Wenn der Platz für eine Sal-Weide (Salix caprea) nicht reicht, ist vielleicht die kleinere Ohr-Weide (Salix aurita) eine Alternative.

„Eine mindestens genauso wichtige Rolle wie die Gestaltung spielt die anschließende Pflege der naturnahen Flächen“, so Peter Müller, Mitarbeiter im Naturgarten-Team. Das mag verwundern. Tatsächlich werden naturnahe Flächen aber nicht sich selbst überlassen, sondern u. a. nach diesen Kriterien in Schuss gehalten:

  • Abgestorbene Pflanzenstängel werden erst im Frühling geschnitten bzw. entfernt. So findet Insektenbrut in den Stängeln ein Winterquartier, Vögel können an den Samenständen fressen.
  • Naturnahe Wiesen werden nur ein- bis dreimal im Jahr gemäht; je trockener und magerer der Boden, desto weniger Nährstoffanreicherung.
  • Laub wird nur von sonnigen Magerbeeten und Wiesen abgeräumt, weil sie mager gehalten werden.
  • Unerwünschte Pflanzen werden in den ersten zwei bis drei Jahren regelmäßig entfernt.

Monitoring-Daten aus dem Modellprojekt
Das Naturgarten-Team der Stiftung für Mensch und Umwelt hat bereits preisgekrönte Anlagen wie den ersten Berliner PikoPark realisiert. Dieser neue Grünflächentyp befindet sich auf der Fläche der Baugenossenschaft „Freie Scholle“ zu Berlin eG. Er besticht durch viele Trockenmauern Sand- und Kalkmagerbeete, einen Käferkeller, Totholz, eine große Wildbienennisthilfe und Sitzgelegenheiten. Er wurde u. a. mit dem „European Award for Ecological Gardening 2023“ ausgezeichnet.

Monitoring-Daten aus dem Modellprojekt „Treffpunkt Vielfalt“ der Stiftung für Mensch und Umwelt untermauern die positive Wirkung von naturnahem Grün auf wissenschaftlicher Ebene: Während zu Projektbeginn lediglich 30 Bienenarten auf den insgesamt fünf Projektflächen (6.000 m2) nachgewiesen wurden, waren es zum Projektende 131 Bienenarten.

„Angesichts des rasanten Artensterbens ist es an der Zeit, die herkömmliche Gestaltungspraxis neu zu denken“, findet u. a. Andrea Zwingelberg, Vorstandsmitglied des Beamten-Wohnungs-Vereins zu Köpenick eG. Wenn wir die wunderbare Vielfalt des Lebens auch in Zukunft um uns herumhaben möchten, brauchen wir mehr naturnahes Grün, auch in Städten.

Zur Weiterbildung bietet sich „Der Handlungsleitfaden: Naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren. (…)“ an sowie der interaktive E-Learning-Kurs „Naturnahes Grün“. Er kann nach der Buchung jederzeit online angeschaut werden.

Bildquelle: Thomas Englisch, Stiftung für Mensch und Umwelt, Peter Müller